Viva Venezia! Die Erfindung Venedigs im 19. Jahrhundert

Es lebe Venedig! Die Ausstellung im eben erst wiedereröffneten Unteren Belvedere erzählt von einer Stadt, die sich als Mythos tief in unser kollektives Bewusstsein eingeschrieben hat. Wie so viele Mythen wurde auch die Vorstellung von der Lagunenstadt erst erschaffen – vorangetrieben im 19. Jahrhundert etwa durch Historikerinnen mit der sogenannten leggenda nera; durch Literatinnen und ihre Begeisterung für den morbiden Reiz des Verfalls; und schließlich über Filme wie Sissi oder Tod in Venedig. „Viva Venezia!“

Generaldirektorin Stella Rollig:
„Die Ausstellung wagt eine These: Venedig wäre nicht ‚Venedig‘ ohne den Blick von außen, ohne die künstlerische Interpretation dieser einzigartigen Stadt. Die Schau zeigt die Genese eines Mythos aus dem Geist der Künste des 19. Jahrhunderts, dessen Kernmotive bis heute wirksam sind.“

Von 1815 bis 1866 waren Venedig und Venetien Teil der Habsburgermonarchie. Lange Zeit blickten die Österreicherinnen sehnsüchtig Richtung Süden auf die Lagunenstadt. Hier glaubte man Unbeschwertheit und einfaches Leben zu finden: die vom Meer geprägte Landschaft, die Loslösung von der bürgerlichen Enge im eigenen Land. Nachdem die einstige Republik nach 1797 ihre Rolle als politische Großmacht verloren hatte, entwickelte sich europaweit eine überraschende Empathie für die geplagte Stadt. Venedig erhielt ein neues Profil, das sich zu einem großen Teil daran orientierte, wie es von Intellektuellen, Literatinnen, Künstlerinnen von außen wahrgenommen wurde. Hier waren bald zwei Erzählstränge oder Lesarten tonangebend: Einerseits schufen Historikerinnen die Legende des düsteren, korrumpierten Venedig in den Fängen einer über Jahrhunderte herrschenden, intriganten Autokratie, die sogenannte leggenda nera. Andererseits weideten sich Literat*innen am romantischen Venedig, angezogen vom morbiden Reiz des Verfalls und verzaubert von einer Stadt, die ins Wasser gebaut zu sein scheint.

Kurator Franz Smola:
„Die Stadt Venedig bot zahlreichen Intellektuellen eine Projektionsfläche für ihre Ideen, ihre Sehnsüchte, ihre Gefühle. Mit ihren jeweiligen Bearbeitungen des Themas in teils monumentalen Werken erfanden bildende Künstler*innen wie Francesco Hayez, William Turner oder Friedrich Nerly ein scheinbar ewiges Bild der Stadt: melancholisch, romantisch, einzigartig.“

In drei thematischen Kapiteln begibt sich die Ausstellung auf die Spuren dieser Inszenierung eines Traums. Der erste Teil beleuchtet die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts: Österreichische und italienische Künstlerinnen hielten Episoden aus der ruhmreichen tausendjährigen Geschichte Venedigs in opulenten Darstellungen fest. Besonderes Beispiel dafür ist das über zehn Meter lange Gemälde von Hans Makart Venedig huldigt Caterina Cornaro – wegen seines ungewöhnlichen Formats nur selten zu sehen, ist es eine der besonderen Attraktionen der Schau. Der zweite Teil wendet sich der engen historischen Verbindung der Stadt mit Österreich zu. Aufgrund der geografischen Nähe hielten sich zahlreiche österreichische Künstlerinnen wie etwa Antonietta Brandeis, Leopold Carl Müller, Carl Schuch oder August von Pettenkofen längere Zeit in der Stadt auf, um sich Inspiration zu holen. Und schließlich wird im dritten Abschnitt Venedig als Sehnsuchtsort beleuchtet – jener Mythos, der die Stadt seit dem beginnenden 19. Jahrhundert bis heute prägt. Malerinnen und vor allem auch Literatinnen aus Europa und den USA gaben sich der Magie, aber auch der Melancholie der Stadt hin; bis heute sehen manche in Venedig eine Metapher für ein „Sterben in Schönheit“.

Für diese Erzählung greift die Ausstellung zum einen auf verborgene Schätze aus den hauseigenen Kunstdepots zurück, die nur selten gezeigt wurden. Dazu zählen prachtvolle Historienbilder, die Szenen aus der glorreichen Geschichte Venedigs illustrieren – teilweise in riesenhaften Formaten, neben dem erwähnten Makart-Gemälde auch Werke von 4 venezianischen Malern wie Michelangelo Grigoletti und Jacopo d’Andrea. Zu sehen ist auch eine Vielzahl von Veduten, geschaffen von Künstlerinnen aus Österreich und anderen Ländern wie Rudolf von Alt, Josef Carl Püttner oder Giuseppe Canella. Zunehmend interessierten sich Kunstschaffende auch für Szenen aus dem Alltagsleben und lieferten damit nicht selten Einblicke in die oft harte Realität der Bürgerinnen Venedigs. Beispiele dafür liefern etwa die Werke von Anton Romako, Ludwig Johann Passini oder Cecil van Haanen. Zum anderen wird die Schau im Belvedere durch zahlreiche Zitate aus Meisterwerken der Literatur und persönliche Stellungnahmen von Schriftsteller*innen bereichert, die zur Illustration und Vertiefung dieser Mythen dienen und die in vielem bis heute unser Bild von Venedig prägen. Auch Filmschaffende, die sich von dieser Stadt inspirieren ließen, kommen in der Ausstellung zu Wort. So werden die 1896 von Alexandre Promio aufgenommenen Szenen vom Canal Grande und Ausschnitte aus dem legendären Film
Senso von Luchino Visonti sowie weitere Filmbeispiele in der Schau zu sehen sein. Die Ausstellung wird von einem Filmprogramm zum Thema Venedig im Blickle Kino des Belvedere 21 begleitet.

In Kooperation mit der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) wurde außerdem im Rahmen der Ausstellung aus digitalisierten Dokumenten ein multidimensionales Modell von Venedig geschaffen, das öffentlich zugänglich ist. Das Team entwickelte eine Animation, über die territoriale Entwicklungen der Republik Venedig im Zeitraum von etwa achthundert Jahren bis zur Einnahme der Stadt durch Napoleon 1797 erfahrbar werden.

Die Ausstellung umfasst rund achtzig Gemälde, ein Großteil davon stammt aus der Sammlung des Belvedere. Daneben bieten Beispiele aus Literatur und Film weitere Zugänge zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der faszinierenden Stadt Venedig.

KÜNSTLER*INNEN
Franz Alt (1821 Wien – 1914 Wien)
Jakob Alt (1789 Frankfurt am Main – 1872 Wien)
Rudolf von Alt (1812 Wien – 1905 Wien)
Friedrich von Amerling (1803 Wien – 1887 Wien)
Jacopo d’Andrea (1819 Rauscedo – 1906 Venedig)
Angiolo Barbini (tätig in Venedig um 1830)
Ludwig von Beniczky (1804 Turec –1855 Wien)
Eugen von Blaas (1843 Albano Laziale – 1931 Venedig)
Giuseppe Borsato (1770/71 Venedig – 1849 Venedig)
Antonietta Brandeis (1849 Miskowitz, Böhmen – 1926 Florenz)
Lorenzo Butti (1805 Triest –1860 Triest)
Giuseppe Canella der Ältere (1788 Verona – 1847 Florenz)
Georg Dehn (1843 Hannover – 1904 München)
Giuseppe Deyé (um 1830 tätig in Venedig)
Anselm Feuerbach (1829 Speyer – 1880 Venedig)
Pietro Fragiacomo (1856 Piran – 1922 Venedig/Venice)
Franz Gerasch (1826 Wien – 1906 Wien)
Michelangelo Grigoletti (1801 Pordenone – 1870 Venedig)
Cecil van Haanen (1844 Wien – 1914 Wien)
Francesco Hayez (1791 Venedig – 1882 Mailand)
Christian Cornelis Kannemans (1812 Breda – 1884 Breda)
Vinzenz Katzler (1823 Wien – 1882 Wien)
Karl Kaufmann (1843 Neuplachowitz, Österreichisch-Schlesien – 1905 Wien)
Michael Kovács (1818 Abádszalók – 1892 Budapest)
Josef Kriehuber (1800 Wien – 1876 Wien)
Wilhelm Lindenschmit der Jüngere (1829 München – 1895 München)
Ludovico Lipparini (1800 Bologna – 1856 Venedig)
Leontine von Littrow (1856 Triest – 1925 Abbazia/Opatija)
Fr. Locatello (1810 Venedig – 1882 Venedig)
Johann Hieronymus Löschenkohl (1753–1807)
Hans Makart (1840 Salzburg – 1884 Wien)
David Mosé (1870 Wien – 1902 Venedig)
Leopold Carl Müller (1834 Dresden – 1892 Weidlingau bei Wien)
Carlo Naya (1816 Tronzano Vercellese bei Turin – 1882 Venedig)
Christian Friedrich Nerly (1807 Erfurt – 1878 Venedig)
Tranquillo Orsi (1771 Venedig – 1845 Venedig)
Ludwig Johann Passini (1832 Wien – 1903 Venedig)
August von Pettenkofen (1822 Wien – 1889 Wien)
Giovanni Battista de Pian (1813 Wien – 1856/57 Wien)
Samuele Levi Polacco (tätig um 1830 / active c. 1830)
Josef Carl Püttner (1821 Plan – 1881 Hallstatt)
Anton Romako, (1832 Atzgersdorf bei Wien – 1889 Wien/Vienna)
Franz Leo Ruben (1842 Prag – 1920 München)
Franz Russ der Jüngere (1844 Wien – 1906 Wien)
August Theodor Schöfft (1809 Budapest – 1888 London)
Carl Schuch (1846 Wien – 1903 Wien)
Heinrich Stohl (1826 Wien – 1889 Waidhofen an der Ybbs)
Joseph Mallord William Turner (1775 London – 1851 London), zugeschrieben
William Wyld (1806 London – 1889 Paris)

FILMSCHAFFENDE
Ernst Marischka (1893 Wien – 1963 Chur, Graubünden)
Alexandre Promio (1868 Lyon – 1927 Asnières-sur-Seine) & Auguste Lumière
(1862 Besançon – 1954 Lyon) & Louis Jean Lumière (1864 Besançon – 1948 Bandol,
Département Var)
Max Reinhardt (ursprünglich Maximilian Goldmann, 1873 Baden, Niederösterreich – 1943 New York)
Andrea Di Robilant (1899–1977)
Luchino Visconti (geb. 1906 als Conte Don Luchino Visconti di Modrone in Mailand – 1976 in Rom)
Terence Young (1915 Shanghai – 1994 Cannes

17. Februar bis 4. September 2022
Unteres Belvedere, Wien

www.belvedere.at/viva-venezia

PM: (c) Belvedere, Wien
Bild: Giuseppe Canella d. Ä.,
Chioggia vor Sonnenaufgang, 1838
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

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