Welche Rolle spielen Menschen im globalen Ökosystem? Diese Frage ist der basale Impuls für die künstlerische Praxis von Stefan Knauf. Es lag nahe, ihn für eine Soloausstellung in das Haus Coburg einzuladen, nachdem 2023 eine Debatte über die Wiedervernässung von Mooren in Delmenhorst entbrannte. Stefan Knauf abstrahiert diese Kontroverse auf die Frage: Wie gehen wir mit Verlusten um? Denn das Verschwinden von Mooren, Gletschern oder Regenwäldern ist eine Entwicklung, die sich nicht ungeschehen machen lässt. Darüber täuscht die Forderung nach Renaturierung häufig hinweg. Stattdessen nutzt der Künstler den Begriff der ökologischen Trauer. Wie bei anderen existentiellen Verlusten, muss auch die Klimaveränderung emotional verstanden werden. Dass funktionierende Ökosysteme wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden und zugleich eine nostalgische Sehnsucht nach intakter Natur wächst, sind dabei konkurrierende Wahrheiten.
Stefan Knauf interessieren Situationen und Prozesse, in denen diese Widersprüche nachvollzogen werden können. Er stellt Bezüge zwischen Landschaftsmalerei und Ackerbau her, arbeitet mit spirituellen Tiersymbolen ebenso wie mit Pflanzensurrogaten, nutzt Materialien aus dem Trockenbau, um physische und kulturelle Habitate der Menschen in Szene zu setzen. Mit zwei Bronzeskulpturen, die 2018 durch Totenabgüssen von Lämmern entstanden sind, lässt er Assoziationen an das religiöse Opferlamm oder das Goldene Vlies der griechischen Mythologie aufkommen und thematisiert zugleich durch Überzüchtung ausgelöste Todesfälle bei Jungtieren. Es sind Multiperspektiven, die der Künstler hier eröffnet, ohne ein Motiv zu favorisieren.
Im Haus Coburg sind begehbare Räume zu sehen, die mit stoffbespannten Wänden, goldenen Prunkrahmen und dunklem Boden eine Gemäldegalerie des 19. Jahrhunderts zitieren. Details, wie das Klickparkett oder das etwas zu grelle Licht lassen erahnen, dass diese Raumdubletten Substitute sind, in denen die Anwesenheit der Dinge ihre Abwesenheit inszeniert. Gegensätze wie Natur und Gemälde, Wirklichkeit und Darstellung, Original und Reproduktion, Erinnerung und Idealisierung, Raum und Display schließen sich hier nicht aus, sondern präsentieren sich gegenseitig.
Eine zweite Rauminstallation zeigt eine dystopische Landschaft aus Torf und raumhohe Stahl-Skulpturen, die die Form von Kakteen nachahmen. Kakteen gehören zu den Pionieren, die sich in erodierten Landschaften behaupten können und anderen Pflanzen und Tieren als Windschutz und Wasserquelle dienen – Qualitäten, die den metallischen Versionen von Stefan Knauf fehlen. Durch ihre industrielle Fertigung, die Arbeitsschritte wie Laserschneiden, Schweißen, Hydroformen und Feuerverzinken umfasst, wird die Natur auf eine naive Weise nachgeahmt und als leere Hülle hergestellt. Das Ergebnis ist anorganisch, rostfrei und unverwüstlich. Dass Konservation und Restaurierung nicht nur im Naturschutz, sondern auch im Museum eine wichtige Rolle spielen, ist für Stefan Knauf kein Zufall. Beides speist sich aus der Sehnsucht, Wesentliches zu bewahren. Er macht auf diese Parallele aufmerksam, indem technische Anlagen und Messinstrumente aus dem Museumsalltag zu Ausstellungsobjekten avancieren und kreativ werden.
Stefan Knauf schafft immersive Ausstellungsdisplays, in denen Licht- und Temperaturwechsel oder Materialien wie Torf und Stahl sinnliche Erfahrungsprozesse ermöglichen. Dass dabei alle Versionen von künstlicher Natur, seien sie technisch aufgezeichnet, gemalt, skulptural geformt oder installiert, letztlich dysfunktionale Imitationen bleiben, thematisiert die Grenzen von Renaturierung.
Künstler Stefan Knauf lebt und arbeitet in Berlin und Barcelona. Er wurde 1990 in München geboren. Sein Studium hat Stefan Knauf an der Universität der Künste in Berlin als Meisterschüler in der Bildhauerei-Klasse von Manfred Pernice 2017 abgeschlossen. Seitdem sind seine Werke regelmäßig und inzwischen auch international in Ausstellungen vertreten, zuletzt etwa „Paradise“ (D.D.D.D. Pictures, 2024 in New York), „Fruits of Labour“ (Saint Anne Galerie, 2024 in Paris), „Nachts wach“ (Livie Gallery, 2024 in Zürich). Stefan Knauf wurde ausgezeichnet mit dem Hanke-Förster-Preis (2017) und dem Helmut-Thoma-Preis (2012). Zu seiner künstlerischen Praxis gehören auch Lecture Performances, beispielsweise an der School of Architecture (Princeton 2024 und 2021) und an der Universität der Künste (Berlin 2022). Das Haus Coburg zeigt seine erste, institutionelle Einzelausstellung.
01. Feb. – 11. Mai 2025
Haus Coburg | Städtische Galerie Delmenhorst
Fischstraße 30
D-27749 Delmenhorst
Text: (c) Städtische Galerie Delmenhorst
Foto: Stefan Knauf, Berglandschaft mit Fluss,
2024, Foto: Roman März