„Ich habe im Laufe der Jahre mehr und mehr Interesse dafür entwickelt, das Leben nicht aus einer menschenzentrierten, sondern aus einer breit angelegten, biozentrischen Perspektive zu betrachten. Beispielsweise habe ich mich dabei beobachtet, wie ich Substantive in Verben verwandle. Wenn ich durch meine Ausstellung gehe, versuche ich zum Beispiel zu baumen, um mir Perspektiven bewusst zu machen, die über das hinausgehen, was wir Menschen uns eigentlich vorstellen können.
Wie bei allen Säugetieren ist auch das Leben des Menschen vom Ein-und Ausatmen abhängig, vom Sauerstoff, den wir aufnehmen. In Anlehnung an die Anthropologin Natasha Myers und den Anthropologen Timothy Choywürde ich sagen, dass es im Leben auch um Kon-spirationgeht –eine Anspielung sowohl auf die Etymologie des Wortes (vom Lateinischen conspirare= zusammenwirken, harmonieren, sich verschwören) als auch auf seine Definition im Wörterbuch. Wir „konspirieren“ mit einem Baum, mit Mitmenschen und mit unserem Planeten.
Wenn wir erkennen, dass unser Leben untrennbar mit unserer Umgebung verwoben ist, sowie mit Strukturen und Systemen, die weit über unseren lokalen Kontext hinausreichen, wird uns meiner Meinung nach bewusst, dass wir alle verletzlich sind und nicht alles unter Kontrolle haben. Wir handeln und interagieren in Situationen, die von Unsicherheit und ungewissen Ergebnissen geprägt sind.
Mit den Worten der Anthropologin Anna L. Tsing: „Prekär leben zu müssen, schien einst das Schicksal von den vom Glück weniger Begünstigten zu sein. Heute sieht alles danach aus, dass sich keiner mehr in völliger Sicherheit wiegen kann –selbst wenn im Moment unsere Taschen noch prall gefüllt sind.“
Life, mein Kunstwerk, und die Fondation Beyeler sind mit dem umliegenden Park, der Stadtlandschaft, ja dem ganzen Planeten verwoben, und sie werden durch alles und alle, die hier aufeinandertreffen, zum Leben erweckt.
Schon seit dem Beginn meiner künstlerischen Arbeit in den frühen 1990er Jahren interessiere ich mich für die Wahrnehmung sowie für die kognitiven und kulturellen Bedingungen, durch die diese gestaltet wird.Life wird durch die aktive Begegnung mit dem Werk zum Leben erweckt, durch Ihre Wahrnehmung. Ich habe mich entschieden, keinen didaktischen oder erklärenden Text zum Kunstwerk anzubieten, da dies die Wahrnehmung und das Verständnis der Ausstellungsbesuchenden beeinflussen könnte. Es ist mir wichtig, keine von mir vorgefertigten Ansichten über Life zu vermitteln. Einige meiner Gedanken über die Entstehung des künstlerischen Werks und seines Weiterlebens, sowie meine Inspirationsquellen für die Arbeit, finden sich jedoch hier – im vorliegenden Text – wieder. Und gleichzeitig begrüsseich alles, was die Besuchenden einbringen: ihre Erwartungen und Erinnerungen, ihre Gedanken und Gefühle.
Life präsentiert ein Modell für eine Landschaft der Zukunft, das gastfreudlichist. Als Sam Keller, der Direktor der Fondation Beyeler, und ich vor ein paar Jahren das erste Mal über die Ausstellung sprachen, dachte ich: Warum laden wir nicht alle ein? Lasst uns den Planeten einladen – Pflanzen und andere Lebewesen. Ich wollte nicht nur eine Tür öffnen, sondern die strukturellen Grenzen sprengen, die das Draussenvom Drinnen trennen. Deshalb bin ich der Fondation Beyeler und dem Museumsarchitekten Renzo Piano dankbar für die Erlaubnis, die Glasfassade des Gebäudes vorsichtig und behutsam entfernen lassen zu dürfen.“
OLAFUR ELIASSON ÜBER LIFE IN DER FONDATION BEYELER
April bis Juli 2021
FONDATION BEYELER
Baselstrasse 101
CH-4125 Riehen/Basel
https://www.fondationbeyeler.ch
ÖFFNUNGSZEITEN*:
Montag bis Sonntag 10–18 Uhr
Mittwochs 10–20 Uhr
365 Tage im Jahr (auch Feiertage)
Life rund um die Uhr zugänglich (Tickets 9-21 Uhr)
Foto: Installationsansicht, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 2021
Courtesy of the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York / Los Angeles
© 2021 Olafur Eliasson
Foto: Pati Grabowicz