Die Auseinandersetzung mit der Architektur mag weitgehend philosophisches Neuland sein. Doch nicht für den Freiburger Philosophen Günter Figal. Nachdem sich Figal, zu dessen Schwerpunkte die Phänomenologie und Hermeneutik gehören, mit Peter Zumthor und Frank Lloyd Wright befasst hat, setzt er den Dialog nun mit Bauten von Tadao Ando fort. Ein längerer Japan-Aufenthalt im Herbst und Winter 2016/17 ging diesem Band voraus, der eigentlich ein Essay in mehreren Kapiteln ist. Günter Figals philosophische Betrachtungen über Ando schließen den Raum, die Moderne, aber auch die Kunst mit ein. Denn nicht wenige Gebäude, die Figal besuchte und in dem Band bespricht, sind Museen und Kunstinstitutionen. Auch Teehäuser, Kirchen und Seminarhäuser sind darunter. Figals Gedanken nahmen ihren Anfang an den Fotografien, die er vor Ort machte. Diese ausnahmslos schwarz-weißen Aufnahmen unterbrechen die Folge der einzelnen Kapitel. Was Figal an den schlichten, auf wenige Materialien konzentrierten Bauten interessiert, ist der Möglichkeitssinn des Japaners. Andos Gebäude verändern die Umgebung, sie verändern die Gewohnheiten seiner Besucher, indem sie diese über Wege, Treppen und Übergänge lenken und sie teilen Tradition mit, ohne traditionell zu sein. Sie machen sich dem Menschen angenehm. Günter Figals Buch über Tadao Ando bewegt sich damit jenseits der Pfade, auf denen üblicherweise über Architektur gesprochen wird.
Die Autorin Marion Poschmann über „Günter Figal: Ando. Raum Architektur Moderne“:
Was ist das Moderne an der modernen Architektur? Was macht ein Gebäude zu einem Kunstwerk? Die Raumerfahrung als solche wird reflektiert, könnte eine Antwort lauten. Ausgehend von berückenden Photographien unternimmt Günter Figal in seinem Buch über Tadao Ando einen betrachtenden Rundgang, der in bergende und verborgene Räume führt, auf Treppen ohne Ziel, über unbetretbare Wasserflächen oder zu einer zeitgenössischen Mondbetrachtungsplattform. Diesen Orten ist gemeinsam, daß sie das Gefühl des Hierseins intensivieren, einen Zustand der Offenheit hervorrufen, der Zeitenthobenheit, der Freiheit.
Günter Figal hat eine Meditation über Raum und Leere geschrieben, die über ein begriffliches Erfassen der Raumerfahrung hinausgeht. Der gelassene Stil, ein Duktus der Stille kennzeichnen diesen Text und nehmen den Leser mit in eine Schönheit des Einfachen hinein, die es ihm ermöglicht, auch zur Leere in sich selbst ein Verhältnis zu gewinnen, ja diese Leere als das zu erkennen, was sie ist: ein Möglichkeitsraum, in dem sich die Erscheinungen entfalten können.
Günter Figal – Ando. Raum, Architektur, Moderne
2017. Texte von Günter Figal.
172 Seiten, 17 x 24 cm, deutsch, 100 s/w Abbildungen, Broschur, Fadenheftung.
34,00 EUR
ISBN 978-3-86833-220-9